
Projekthintergrund
In Deutschland leben etwa 16 Mio. Menschen mit Migrationshintergrund.
Die kulturelle und sprachliche Vielfalt bedeutet eine wertvolle gesellschaftliche Bereicherung. Gleichzeitig stellt sie eine Herausforderung für die psychosoziale Gesundheitsversorgung dar. Bereits in den 1980er Jahren postulierte die WHO in der Ottawa Charta, dass sich die Versorgung an den kulturellen Bedürfnissen der Patient_innen orientieren und respektvoll sowie sensitiv gestaltet sein sollte.
Wie schwer es ist, diese Ziele zu erreichen, verdeutlichen zahlreiche Forschungsbefunde. Beispielhaft seien einige dieser Befunde genannt: So geht der Migrationsstatus sowohl in der ambulanten als auch in der stationären psychosozialen Versorgung mit einer im Vergleich zur autochthonen Bevölkerung geringeren Inanspruchnahme von Einrichtungen der Gesundheitsversorgung einher (Mösko, Pradel & Schulz, 2011, Mösko et al., 2012, Odening et al., 2013). In der Ergebnisqualität psychosozialer Behandlungen finden sich zudem für türkische Patient_innen und Patient_innen aus dem ehemaligen Jugoslawien die geringsten Behandlungserfolge (Mösko et al., 2011).
Als mögliche Barrieren für einen gleichberechtigten Zugang zum psychotherapeutischen Versorgungssystem sowie für einen qualitativ gleichwertigen Behandlungsprozess bei Migrant_innen werden verschiedenste Faktoren diskutiert (Baschin et al., 2012). Neben z.B. kulturell divergierenden Krankheitskonzepten oder sprachlichen Kommunikationsbarrieren kann die psychotherapeutische Behandlung auch durch Faktoren aufseiten der Behandler_innen, wie z.B. durch Vorurteile oder Unsicherheiten im Umgang mit Migrant_innen erschwert werden. Laut einer Studie von Wohlfart und Kollegen (2006) löste die Begegnung mit „dem fremden Patienten“ bei fast der Hälfte der Mitarbeiter_innen einer psychiatrischen Abteilung negative Gefühle aus, die den Beziehungsaufbau und den Behandlungserfolg erschwerten.
Wie stark herausfordernd der Umgang mit Patient_innen anderer kultureller Prägung erlebt wird, macht auch eine Untersuchung an niedergelassenen Psychotherapeut_innen deutlich. Obgleich die Befragten umfangreiche Berufserfahrung vorwiesen, berichteten zwei Drittel von substanziellen Herausforderungen (wie z. B. divergierenden Wertesystemen, mangelnder „compliance“ etc.) in der psychotherapeutischen Arbeit mit Patient_innen mit Migrationshintergrund (Mösko et al., 2012).
Es wird deutlich, dass inter-/transkulturelle Kompetenz angesichts eines zahlenmäßig wachsenden und kulturell und sprachlich vielfältigen Klientels zunehmend zu einer Basisanforderung für Psychotherapeut_innen wird. Diese Thematik sollte daher in Aus-, Fort- und Weiterbildung stärker berücksichtigt werden. Hierzu ist es notwendig, theoretisch fundierte und evaluierte inter-/transkulturelle Trainings zu entwickeln. Entsprechende Trainings können für Psychotherapeut_innen und Psychotherapeut_innen in Aus, Fort- und Weiterbildung eine entscheidende Hilfe dabei sein, sich der facettenreichen Thematik der Inter- oder Transkulturalität zu öffnen und sich mit den Anforderungen der Patient_innen mit Migrationshintergrund auseinanderzusetzen.
Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich das aktuelle Forschungsprojekt mit der Entwicklung, Durchführung und Evaluation eines Interkulturellen Kompetenztrainings für (angehende) Psychotherapeut_innen. Als Grundlage hierfür dienen u.a. Modelle aus den USA und Kanada sowie die Erkenntnisse aus dem vorangegangenen Projekt, in dem auf Grundlage eines Konsensverfahrens mit Expert_innen Leitlinien für inter-/transkulturelle Kompetenztrainings verabschiedet wurden. (LINK)
Quellen
Baschin, K., Ülsmann, D., Jacobi, F. & Fydrich, T. (2012). Inanspruchnahme psychosozialer Versorgungsstrukturen – Theoretisches Modell für Personen mit Migrationshintergrund. Psychotherapeut, 57, 7-14
Mösko, M., Gil-Martinez, F. & Schulz, H. (2012). Cross-cultural opening in German outpatient mental health care service - Explorative study of structural and procedural aspects. Journal of Clinical Psychology & Psychotherapy; DOI: 10.1002/cpp.1785
Mösko, M., Pradel, S. & Schulz, H. (2011). Die Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund in der psychosomatischen Rehabilitation. Bundesgesundheitsblatt, 54, 465-474
Odening, D., Jeschke, K., Hillenbrand, D. & Mösko, M. (2013). Stand der interkulturellen Öffnung in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung in Berlin. Verhaltenstherapie & psychosoziale Praxis, 53-72
Wohlfart, E., Hodzic, S. & Özbek, T. (2006). Transkulturelles Denken und transkulturelle Praxis in der Psychiatrie und Psychotherapie. In E. Wohlfart & M. Zaumseil (Eds.), Transkulturelle Psychiatrie – interkulturelle Psychotherapie. Berlin Heidelberg New York Tokio: Springer.